Müssen Kohle- und Atomausstieg verschoben werden? – Die aktuelle Energiedebatte im Überblick
Im August 2020 wurde in Deutschland der Ausstieg aus der Kohlekraft mit dem „Gesetz zur Reduzierung und zur Beendigung der Kohleverstromung“ besiegelt.1 Dieses hält das Ziel, die Stein- und Braunkohleverstromung in Deutschland bis zum Jahr 2038 schrittweise zu reduzieren und schließlich zu beenden, fest. Fast zwei Jahre später wird dieses Ziel nun angezweifelt. Der Einmarsch Russlands in die Ukraine hat in Deutschland eine große Energiedebatte neu entfacht. Wie lassen sich das wegfallende russische Gas kompensieren? Was passiert wenn Russland den Gashahn abdreht? Können wir etwas dagegen tun? Wir geben euch einen Überblick, mit Augenmerk darauf, was die möglichen Lösungswege für das Klima bedeuten.
Was ist das Problem?
Aufgrund der Abhängigkeit vieler europäischer Länder von russischem Gas kommt es auch in Deutschland zu Energieengpässen. Aktuell bezieht die Bundesrepublik nämlich 55% ihres Erdgases aus Russland.2 Bereits jetzt haben die Russen die Gaslieferungen nach Europa reduziert, in Frankreich beispielsweise wurde der Import komplett gestoppt.3 Um die Energieversorgung zu sichern gilt es daher, unsere Energiespeicher aufzufüllen. Das im März beschlossene Energiespeichergesetz besagt, dass diese bis Oktober zu 80% und bis November zu 90% gefüllt sein müssen.3 Das für Deutschland schlimmste Szenario wäre daher ein totaler Importstopp seitens Russlands im Sommer, denn ohne die russischen Lieferungen aus der Nord-Stream-1-Pipeline kann dieses Ziel nicht erreicht werden und Deutschland würde in einen Energieengpass abrutschen.3 Die aktuelle Energiedebatte beschäftigt sich daher vor allem mit einer Frage: Müssen der Kohle- und Atomkraftausstieg verschoben werden um die fehlende Energiequelle Erdgas zu ersetzen?
Die Debatte: Atomkraft vs Kohle vs erneuerbare Energien
Als mögliche Lösungswege werden nun verschiedene Möglichkeiten analysiert und diskutiert. Einige bringen allerdings erhebliche Umweltfolgen mit sich.
Möglichkeit 1: Setzen auf Atomkraft?
Aktuell sind in Deutschland noch genau drei Atomkraftwerke in Betrieb. Isar 2, Emsland und Neckarwestheim 2 sind die letzten drei Akws, die uns Energie liefern, auch diese drei sollen bis Ende diesen Jahres abgestellt werden. Markus Söder sprach sich positiv gegenüber einer Verlängerung dieser Laufzeit aus und auch Christian Lindner möchte offen darüber diskutieren.4 Das Problem dabei ist allerdings, dass Atomkraft der Energiewende schadet.6 Zusätzlich würde eine solche Verlängerung der Laufzeit unser aktuelles Problem nicht beseitigen, denn die Vorbereitungen für die Abschaltungen sind bereits so weit fortgeschritten, dass eine Wiederaufnahme des Betriebs nur unter hohen Sicherheitsbedenken durchgeführt werden könnte.5 Außerdem ist das russische Erdgas zurzeit vor allem als Wärmequelle enorm wichtig. Diese Wärme können Atomkraftwerke nicht liefern und sind daher als Ersatz relativ nutzlos.7 „Für den Winter 2022/23 würde uns die Atomkraft nicht helfen“ sagte Wirtschaftsminister Robert Habeck und sprach sich gleichzeitig deutlich gegen eine solche Verlängerung aus: „Zur Atomenergie ist nicht mehr viel zu sagen. Das ist kein Weg, den Deutschland weiter gehen wird.“ 4
Möglichkeit 2: Unabhängigkeit durch Kohlekraft?
Die Möglichkeit des Schließens der Gaslücke ist schon deutlich eher gegeben, wenn man die Reduktion der Kohlekraft verlangsam bzw. aufheben würde. Allerdings bringt die Kohlekraft, insbesondere mit Braunkohle die größten Umweltschäden bei der Energieversorgung mit sich. Wärmekraftwerke und andere Verbrennungsanlagen, die mit fossilen Brennstoffen (vor allem Steinkohle, Braunkohle, Erdgas) betrieben werden, sind verantwortlich für einen erheblichen Teil umweltbelastender Emissionen. 2018 haben alle deutschen Kohlekraftwerke gemeinsam 208 Millionen Tonnen CO2, damit fast ein Viertel der gesamten deutschen CO2-Emissionen, ausgestoßen.9 Neben Kohlendioxid verursacht die Kohleverbrennung außerdem einen großen Teil des Ausstoßes von Stickstoffoxiden, Schwefeloxiden und des Schwermetalls Quecksilber.8
Welche große Bedeutung eine solche Verlängerung daher für die Umwelt hätte ist wahrscheinlich selbsterklärend. Dennoch muss eine Lösung aus einem Energieengpass und der Abhängigkeit Russlands her.
Möglichkeit 3: Investitionen in erneuerbare Energien
Für Claudia Kemfert, Energieökonomin vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung gehen beide zuvor genannten Möglichkeiten in eine komplett falsche Richtung, vor allem im Hinblick auf die Energiewende. „Jegliche Gespensterdebatten um vergangene Energietechnologien wie Kohle und Atom halten uns wieder einmal nur auf“. Auch sie betonte, dass Atomkraft keinen Beitrag zum Ersetzen des Gas für Wärme und Verkehr leisten könne. Stattdessen forderte sie daher, nicht die Laufzeiten konventioneller Kraftwerke zu verlängern, sondern konsequent auf alle erneuerbaren Energien umzusteigen. Die etwas sechs Prozent des deutschen Stroms, die aktuell noch durch die drei laufenden Akws produziert werden können ihrer Meinung nach problemlos durch erneuerbare Energien ersetzt werden. Für Claudia Kemfert ist das daher nicht nur die umweltfreundlichste, sondern auch billigste und sicherste Alternative: „Klimaschutz und Energiesicherheit gehen Hand in Hand“ sagte sie im Interview mit Klimareporter.2 Doch einen Haken hat das Ganze. Erneuerbare Energien alleine werden die Gaslücke nicht schließen können.
Der Notfallplan lautet daher Ausbau des Imports von Flüssigerdgasgas (LNG). Aktuell sind vier schwimmende LNG-Terminals vorgesehen. Die ersten beiden sollen in Wilhelmshaven und in Brunsbüttel bis Jahresende in Betrieb gehen, die anderen beiden im Frühjahr 2023.10 (9)
Können wir etwas tun?
Natürlich können wir als einzelne Person keinen Energieengpass eines ganzen Landes aufhalten. Kurzfristig kommt es aus Sicht von Robert Habeck allerdings darauf an, weniger Energie zu verbrauchen. Genau hier kann jede Person einen Beitrag leisten. Der Erdgasverbrauch der privaten Haushalte liegt bei 31%, der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) schätzt das Einsparpotenzial hierbei auf rund 15%.10 Das gelingt beispielweise, wenn wir unsere Heizungen weniger nutzen, denn aktuell laufen die allermeisten Heizungen den ganzen Tag durch, sogar im Sommer. Laut Experten könnten Haushalte mit jedem Grad Raumtemperatur rund sechs Prozent Heizenergie einsparen.11 Robert Habeck sieht hierbei aber vor allem die Politik in der Pflicht, notwendige Vorgaben und Gesetze zu beschließen, außerdem sagt er: „Wenn man Putin ein bisschen schaden will, dann spart man Energie.“
Klar ist, in der Energiedebatte ist das letzte Wort sicher noch nicht gesprochen und es wird schwierig, Umwelt und Klimaziele mit der nötigen Energieversorgungssicherheit in Einklang zu bringen. Lasst uns gemeinsam Energie so gut es geht einsparen!
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(1) https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/klimaschutz/kohleausstiegsgesetz-1716678
(2) https://www.klimareporter.de/strom/gespensterdebatten-um-kohle-und-atom
(3) https://www.tagesschau.de/wirtschaft/gaslieferungen-gaspreise-gasembargo-sanktionen-ukrainekrieg-gas-101.html
(4) https://www.tagesschau.de/wirtschaft/lindner-atomkraft-103.html
(5) https://www.tagesschau.de/wirtschaft/technologie/energie-deutschland-habeck-101.html
(6) https://background.tagesspiegel.de/energie-klima/atomkraft-macht-europa-nicht-unabhaengiger-sondern-schadet-der-energiewende
(7) https://taz.de/Energie-im-naechsten-Winter/!5835512/
(8) https://www.umweltbundesamt.de/daten/energie/emissionen-von-waermekraftwerken-anderen#umweltbelastende-emissionen-aus-warmekraftwerken-und-anderen-verbrennungsanlagen-
(9) https://klima-arena.de/die-klima-arena/kohleenergie/
(10) https://www.greenpeace.de/klimaschutz/energiewende/gasausstieg
(11) https://www.tagesschau.de/wirtschaft/verbraucher/gas-sparen-heizen-101.html